Warum Solidarität für Kinder mit Behinderungen oder Erkrankungen angesichts der Corona-Pandemie nach wie vor überlebenswichtig ist.

Jascha-Zuhause

Jascha im Kreise seiner Geschwister - die Familie wird längere Zeit durch die Corona-Pandemie eingeschränkt sein.

Nach und nach werden die Corona-Beschränkungen gelockert, die Menschen kommen aus der Isolation zurück in das Leben, in die Öffentlichkeit. Doch nicht allen ist das möglich: Während bekannt ist, dass ältere Menschen zur Risikogruppe in der Corona-Pandemie zählen, tauchen junge Menschen mit schweren Erkrankungen oder Behinderungen in den Diskussionen nicht auf. Fast scheint es, als würden Kinder und Jugendliche mit gesundheitlichen Einschränkungen in der Corona-Krise vergessen.

Wenn man die Pressekonferenzen und Medienberichterstattung verfolgt, kann man den Eindruck bekommen, dass bei den Entscheidungen aus Politik und Verwaltung, wenn es um Risikogruppen geht, nur die älteren Menschen bedacht werden, die in Pflegeheimen oder alleine zu Hause leben. Während Eltern, von Kinderbetreuung und Homeschooling gestresst, Sturm laufen, die Betreuungsangebote wieder zu öffnen und Medien auf dieses Thema aufmerksam werden, haben Kinder mit Behinderungen oder schweren Erkrankungen keine Stimme.

Isolation auf unbestimmte Zeit

Seit Ende Februar haben diese Kinder das Haus kaum verlassen, keinen Besuch mehr bekommen, die sozialen Kontakte auf das Allernötigste reduziert. Ein Ende ist nicht absehbar: Viele Familien mit Kindern, die Behinderungen oder chronische Erkrankungen haben, stellen sich derzeit auf ein Leben in Isolation oder Quarantäne ein, bis ein Impfstoff verfügbar ist – also die nächsten Monate, vielleicht sogar bis weit in das nächste Jahr.

 

Kleine Helden Zuhause

Finden es auch nicht gut, dass sie immer zu Hause bleiben müssen: Jana und ihr Papa, eine der Familien, die von Kleine Helden e.V. betreut werden

 

Hinzu kommen die Einschränkungen, die Eltern und erkrankte Kinder direkt betreffen: Betreuungsangebote sind geschlossen, Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche mit Behinderung sind eingestellt, auch viele Therapieangebote können auf absehbare Zeit nicht stattfinden. „Wir hoffen, dass wir bald wieder Aufenthalte anbieten können“, sagt Andrea Riedmann von Kleine Helden e.V. – der Verein bietet pflegerisch begleitete Aufenthalte für Familien mit chronisch kranken oder behinderten Kindern an: „Die Familien brauchen unsere Unterstützung mehr denn je, sie sind am Limit oder darüber. Und eine Entspannung der Situation ist für diese Familien nicht absehbar – während alle anderen wieder in die Biergärten gehen wollen.“

Gleichzeitig werden von einigen Politikern Diskussionen angestoßen, welches Leben wertvoll und schützenswert ist, und damit, welches Leben Priorität hat, um welches gekämpft wird – und um welche nicht. Diese Debatten verunsichern zusätzlich viele Eltern, denn sie haben bereits Anrufe von Pflegediensten bekommen, dass die Versorgung ihrer behinderten Kinder im Notfall nicht von Priorität sei. Viele Eltern haben Angst um ihre Kinder, die sie seit Jahren pflegen, für die sie Betreuung organisieren, wobei sie sich um Inklusion für die Kinder bemühen – um ihnen ein Leben mit hoher Lebensqualität und in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Binnen weniger Tage kann die Versorgung eines Kindes mit Behinderung komplett zusammenbrechen, wenn nur eine Person aus dem Umfeld positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Christine Wagner-Behrendt beispielsweise, Mutter des intensivpflege-bedürftigen Jaschas, erklärt: „Meine größte Angst ist, dass wir wegen eines Coronaverdachts in Quarantäne müssen. Dann darf der Pflegedienst nicht mehr kommen und wir sind mit Jascha komplett alleine, Tag und Nacht. Wir stehen als Eltern auch jetzt schon sehr oft alleine da. Und wir wissen nicht, ob er eine Coronainfektion überstehen würde."

Wagner-Behrendt ist aber nicht nur selbst betroffen, sie ist auch Vertreterin des Vereins IntensivLeben für beatmungspflichtige Kinder aus Kassel, einem Förderpartner der TRIBUTE TO BAMBI Stiftung. Sie kennt die Situation in vielen Familien, und welch große Sorgen sich die Eltern und Geschwister um die pflegebedürftigen Kinder machen. „Die häusliche Intensivpflege steht hinsichtlich der Versorgungsstrukturen nicht im Fokus. Alles konzentrierte sich auf die Ausstattung der Intensivstationen und die Behandlung möglicher COVID-19 Patienten. Währenddessen sind für die Intensivfamilien alle Alltagshilfen weggebrochen und die Angst, im Ernstfall bei einer 24-Stunden-Pflege auch noch ohne Pflegedienst dazustehen ist groß“, so Wagner-Behrendt.

Gleichzeitig stieg die Sorge vor Versorgungsengpässen mit Schutzmaterialien wie Masken, Handschuhen oder Desinfektionsmittel und damit die Angst vor einer möglichen Ansteckung mit ungeklärten Folgen für die Kinder als Risikopatienten. Die Gefahr einer Corona-Infektion ist für chronisch kranke und behinderte Kinder enorm, viele kämpfen so schon jeden Tag ums Überleben. Eine Infektion mit dem Virus würden viele nicht überstehen, für sie ist schon eine Erkältung lebensgefährlich. Auch spüren sie die Einschränkungen und den Stress durch die momentane Situation, wie alle anderen Kinder auch.

Viele Kinder haben Eltern wochenlang nicht gesehen

Zudem ist es schwer, zum Beispiel einem geistig behinderten Kind zu erklären, warum Mama und Papa nicht mehr zu Besuch kommen dürfen – viele Kinder, die in Einrichtungen betreut werden müssen, haben ihre Eltern oder Bezugspersonen seit Wochen nicht mehr persönlich gesehen. In der Kinderheilstätte Nordkirchen etwa, einem Förderprojekte der TRIBUTE TO BAMBI Stiftung, ist das gesamte Gelände der Einrichtung seit Anfang April gesperrt. „Eine schlimme Maßnahme – zum Schutz unserer Kinder“, erklärt Gisela Stöver te Kaat von der Kinderheilstätte. „Seit Wochen leisten unsere Mitarbeiter außergewöhnliche Arbeit, um unsere Kinder zu schützen. Die schwerste Entscheidung wurde dann kurz vor Ostern getroffen: Besuchsverbot der Eltern.“ Fast die Hälfte der Kinder in der Einrichtung hatte davor noch regelmäßigen Kontakt zu den Eltern, das war dann mit den Besuchsverboten in Pflegeheimen, unter die auch Einrichtungen zur Pflege von Kindern fallen, vorbei.

 

Geschlossene Kinderheilstätte Nordkirchen

Noch schwieriger ist es zu vermitteln, warum man zueinander Abstand halten muss, kein Körperkontakt erlaubt ist, die Menschen Masken tragen. Auch ein Abstand von zwei Metern oder dass man sich nur durch eine Glasscheibe sehen und unterhalten kann, ist für viele Kinder und deren Eltern kaum auszuhalten. Für ein Kind und auch die Eltern kann es eine traumatische Erfahrung sein, auf Körperkontakt verzichten zu müssen und die Mimik der Bezugspersonen hinter der Maske nicht lesen zu können. Bei den Kindern macht sich Frustration, Wut, schlechte Stimmung bis hin zu Depression bemerkbar, auch körperliche Beschwerden nehmen durch das seelische Leiden zu.

Gemeinsam die Krise meistern

Niemand kann die weitere Entwicklung wirklich vorhersagen. Die Eltern und Pflegekräfte tun ihr Möglichstes, um sich gut um die Kinder und Jugendlichen zu kümmern, doch die Situation bleibt auch jetzt, wenn alle anderen sich über Lockerungen freuen, für sie sehr angespannt. Viele Dinge müssen nun geklärt werden, etwa wer die gestiegenen Kosten für Pflegematerialien wie Schutzhandschuhe übernimmt, deren Preise sich vervielfacht haben – die Krankenkassen jedoch nur einen festgesetzten Betrag bezahlen, oder die aufwändiger gewordene Pflege, die mehr Zeit bedarf, aber nur bestimmte Stunden veranschlagt sind.

Für Risikogruppen wie erkrankte oder behinderte Kinder und Jugendliche wird die Corona-Krise somit noch weiter andauern. Der Appell, zu Hause zu bleiben, gilt daher nach wie vor – für die Betroffenen und ihre Familien, aber auch für alle anderen. Denn um Menschen mit schweren chronischen Erkrankungen und Behinderungen zu schützen, ist es wichtig, dass möglichst alle weiterhin zu Hause bleiben und soziale Kontakte einschränken, damit die Verbreitung des Virus gestoppt wird. Eine Herausforderung für alle und ganz besonders für diese jungen Risikogruppen. Aber es kann jeder seinen Beitrag dazu leisten, seine Mitmenschen zu schützen.

 

Kleine Helden Zuhause

Jana bleibt Zuhause - machen wir es ihr nach und helfen damit, Risikogruppen zu schützen.