Das Kinder- und Jugendhaus Bolle bietet seit Corona Hausaufgabenhilfe über Videocalls und Anrufe an und hilft so, komplexe Themen zu verstehen und sprachliche Barrieren zu überwinden
In den letzten Monaten waren alle aufgerufen, zu Hause zu bleiben. #stayathome lautete das Motto, und für Menschen in großen Wohnungen oder einem Haus mit Garten ist das auch leicht umzusetzen. Für eine sechsköpfige Familie – in einer 3-Zimmer-Wohnung ohne Balkon – ist dies jedoch alles andere als einfach umzusetzen. Ganz zu schweigen von Menschen und insbesondere Kindern und Jugendlichen, die kein Zuhause haben und auf der Straße leben. Für sie bedeutet „Home“ im besten Fall ein Zelt, in das ihr gesamtes Hab und Gut passt.
Wie gut, dass das Kinder- und Jugendhaus Bolle auch in der Pandemie für Kinder und Jugendliche da ist, die auf der Straße leben. Bolle und die Anlaufstellen der Straßensozialarbeit des Vereins Straßenkinder e.V. sind für viele Kinder und Jugendliche in Berlin wichtige Anlaufstellen, bei denen sie Unterstützung im Alltag bekommen und angenommen werden, wie sie sind. Die Tribute to Bambi-Stiftung hat den Verein bereits mehrfach unterstützt und insbesondere in der Corona-Pandemie engen Austausch mit den Förderpartnern gehalten, um unter den Organisationen Ideen im Umgang mit der Pandemie und den damit einhergehenden Beschränkungen zu teilen.
Schulbildung schon in normalen Zeiten eine Herausforderung
Das Kinder- und Jugendhaus Bolle liegt im Stadtteil Marzahn-Hellersdorf. Etwa 70 Prozent der unter 18-Jährigen im Umfeld des Hauses leben in Hartz-IV-Haushalten. Durch verschiedene Bildungs- und Freizeitangebote fördert der Verein diese Kinder und Jugendlichen in ihrer persönlichen Entwicklung und beim Erreichen ihres Schulabschlusses, damit sie die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben haben.
Bedingt durch die Pandemie musste Bolle seine Türen schließen, die sonst jederzeit für alle offenstehen. Viele Schüler:innen benötigen jedoch bereits in normalen Zeiten viel Unterstützung bei ihren Schulaufgaben. Familien mit mehreren Kindern, die Hilfe bei den Hausaufgaben benötigen, und Eltern, die die Aufgaben selbst nicht verstehen oder nur wenig Deutschkenntnisse besitzen, erschweren das Lernen Zuhause für Kinder erheblich, ja machen es teilweise unmöglich. Viele Familien werden mit diesen Problemen allein gelassen.
Soziale Arbeit von Straßenkinder e.V. in Zeiten von Kontaktsperren - Videocalls sollen die Kinder und Jugendlichen unterstützen
Digitale Hilfe seit der Corona-Pandemie
Die Mitarbeitenden des Kinder- und Jugendhauses Bolle reagierten bei Ausbruch der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Beschränkungen schnell. Zunächst stellten sie ihr Unterstützungsangebot auf digitale Hilfe um. Da jedoch nicht alle Kinder die gleichen Grundvoraussetzungen haben, um ihre Schulaufgaben lösen zu können oder digitale Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat Straßenkinder e.V. Laptops an Kinder und Jugendliche verteilt, um diese Lücke zu schließen. Der Verein bot Hausaufgabenhilfe über Videocalls an und half so, komplexe Themen zu verstehen und sprachliche Barrieren zu überwinden. Gegen die aufkommende Langeweile bekamen die Kinder täglich Challenges zugeschickt, die sie lösen konnten. Die besten Einsendungen wurden auf der Bolle-Kids-Seite hochgeladen und prämiert. Ebenso wurden „Pakete gegen die Langeweile“ mit Bastelideen, Spielen und Lernmaterialien an die Kinder und Jugendlichen verteilt. Der Verein blieb weiterhin ein verlässlicher Ansprechpartner für die Kinder und Jugendlichen, aber auch für die teils überforderten Eltern, und half bei allen Ängsten, Sorgen und Familienproblemen weiter.
In den Anlaufstellen der Straßensozialarbeit betreute Straßenkinder e.V. auch während der Pandemie täglich bis zu 50 Straßenkinder und Jugendliche, versorgte sie mit Lebensmitteln und Kleidung und bot Dusch- und Waschmöglichkeiten sowie eine Sozial- und Rechtsberatung an.
Das Ziel: Verlässliche Bindungen aufbauen
Der Schwerpunkt der Arbeit des Vereins liegt generell und auch in normalen Zeiten auf der Begleitung der jungen Menschen auf dem Weg runter von der Straße. Die Streetworker:innen sind wichtige Bezugspersonen für die Straßenjugendlichen und oftmals die einzige vertrauensvolle und verlässliche Instanz in ihrem Leben. Durch Corona wurde die Arbeit mit den Straßenkindern komplett auf den Kopf gestellt. Aus Angst, sich anzustecken, blieben die Jugendlichen der Anlaufstelle fern und hatten auch sonst nur sehr wenig Kontakt zu der Bevölkerung, die ohnehin kaum unterwegs war. Berlin war leer, Cafés und Bäckereien geschlossen.
Für die Straßenkinder und -jugendlichen wurde es dadurch zunehmend schwerer, an Essen zu kommen oder Strom für Handys. Das Streetwork-Team war daher viel in der Stadt unterwegs, hat die Straßenkinder aufgesucht, Essen und Hygieneartikel verteilt, sowie Aufklärung im Umgang mit dem Virus betrieben. Die beziehungsorientierte Arbeit wurde durch die Masken, Handschuhe, den Abstand und die damit entstandene Distanz zwischen ihnen und den Streetworker:innen erheblich erschwert.
Das Streetwork-Team ist viel in der Stadt unterwegs und verteilt Essen und Hygiene-Artikel
Mittlerweile trauen sich die Straßenkinder und -jugendlichen wieder zunehmend in die Anlaufstelle und nehmen die Angebote dort wahr. Doch noch immer ist es nicht wie früher. Es dürfen nur zwei Personen gleichzeitig hinein, müssen sich sofort die Hände waschen und werden anschließend mit allem Nötigen versorgt. Maximal 15 Minuten Betreuungszeit pro Person sind möglich, denn die Schlange vor der Anlaufstelle ist lang. Mehr als ein kurzes „Wie geht’s dir? Was brauchst du?“ ist da nicht drin.
Zu der ohnehin schon erschwerten Arbeit mit den Straßenkindern nahmen die Mitarbeitenden der Straßensozialarbeit unter großer Besorgnis wahr, dass sich zunehmend mehr Minderjährige, vor allem junge Mädchen, auf der Straße aufhalten. Sie halten es meist in ihren Elternhäusern oder Wohngruppen nicht mehr aus. Die Schule fällt weg, der Kontakt zu Freunden ist aufgrund der Bestimmungen stark eingeschränkt. All das hat Straßenkinder e.V. im letzten Jahr versucht aufzufangen und in der Krise angeboten, damit die Jugendlichen einen Ort haben, an den sie kommen können und mit dem Nötigsten versorgt werden.